Man nannte Gogen Yamaguchi "die Katze". Keiner weiß genau, woher dieser Name kommt, aber vieles deutet darauf hin, dass ihm dieser Spitzname von den bei ihm trainierenden amerikanischen Besatzungssoldaten verliehen wurde: Er bewegte sich so leise, dass sie nie wußten, ob er sich nicht gerade hinter ihnen befand. Doch, egal woher dieser Name kommt, er ist bezeichnend für die weichen und geschmeidigen Bewegungen Yamaguchis und die Art des Karate, die er vertritt.

Gogen Yamaguchi wurde am 21. Januar 1909 in Kyushu, Miyazaki Ken, geboren. Seit seiner Kindheit trainierte er Karate. Während seines Studiums des Rechts trainierte er gleichzeitig, gab Unterricht in Karate und erledigte ausgefallene Jobs, um sein Studium zu finanzieren. Er gründete um das Jahr 1929 an der Ritsumeikan Universität eine Karate-Gruppe.

Neugierig auf das Goju Karate lud er Chojun Miyagi (Bild rechts) nach Japan ein. Kurz darauf traf er mit Miyagi, der sich auf einer Besuchsreise durch Japan befand, zusammen.

Es war eine schicksalhafte Begegnung, nicht nur für das Goju Karate, sondern für die ganze Karate-Welt. Von diesem Moment an war das Schicksal von Yamaguchi besiegelt. Als Miyagi nach Okinawa zurückkehrte, ließ er einen gut trainierten und zuverlässigen Stadthalter zurück. Miyagi verlieh Yamaguchi den höchsten Rang im Goju und machte ihn 1935 zum Leiter der "All Japan Goju Kai Karate Do Association".

Die Einführung des Jiyu Kumite (um 1936), der freien Wettkampfform des Karate, wird in erster Linie Gogen Yamaguchi zugeschrieben.

Yamaguchi unterrichtet seine Bewacher

1939 als Spion in die Manchurei geschickt, wurde er bald gefangengenommen und bis 1947 in Haft gehalten. Obwohl die Haftbedingungen für Spione und Saboteure - für beide galt üblicherweise die Todesstrafe - sehr schlimm waren, gelang es nicht, seinen Willen zu brechen. Im Gegenteil: Sobald die Bewacher gewahr wurden, dass sie einen Kampfkunstexperten ersten Ranges in ihrem Lager hatten, ernannten sie Yamaguchi zu ihrem Karate-Lehrer! Wie bei nahezu allen Karatemeistern der ersten Stunde bildeten sich auch hier Legenden; in diesem Falle im Zusammenhang mit seiner Kriegsgefangenschaft (z. B. soll er einen sibirischen Tiger, mit dem er in einen Käfig zusammengesperrt war, getötet haben), auf die aber hier nicht weiter eingegangen werden soll.

Zurück in der Heimat war er 1964 federführend bei der Gründung der "All Japan Karate Do Federation", einer Vereinigung der führenden japanischen Karate-Verbände.

Karate und Religion

Gogen Yamaguchi starb am 20. Mai 1989 im Alter von achtzig Jahren. In seinem Leben gab es nur zwei wichtige Sachen: Karate und Religion. Einer seiner größten Verdienste war es, verschiedene Goju-Gruppierungen zu einer der wichtigsten und mächtigsten Karate-Organisationen zusammengeführt zu haben. Ein Lebenswerk, das heute bereits wieder zerstört ist: Weltweit streiten sich die unterschiedlichsten Goju-Gruppierungen darum, wer das "echte" Goju-Karate ausübt.

Masutatsu Oyama: Die Geburt einer Idee

Während seines Trainings bei Gogen Yamaguchi blieb Masutatsu Oyama nicht verborgen, dass dieser mit seinem Karate ein sehr hohes Einkommen erzielte. Ebenso fiel ihm auf, dass geschickte Werbung - wie z. B. das Auftreten Yamaguchis - nicht unwesentlich zum Erfolg seiner Organisation beitrugen. Mit diesen Erkenntnissen war im Kopf des geschäftstüchtigen Koreaners auch schon eine Idee geboren: Sein auf realistischen Füßen ruhendes Kampfsystem, das - Jis-sen Kumite - als eigenständige Stilrichtung zu vermarkten (auf dem Bild Oyama mit Gogen Yamaguchi).

So verließ er um 1956 zusammen mit seinem koreanischen Freund Kenji Kurosaki das Goju und eröffnete in einer engen Gasse hinter der Rikyu-Universität sein winziges Honbu Dojo (Zentraldojo).